Dioxin “Lebensmittel sind sicherer geworden”

Stuttgart – Der Dioxinskandal lässt die Verbraucher mal wieder daran zweifeln, dass ihre Lebensmittel wirklich sicher sind. Das Verbraucherministerium reagiert mit einem Zehn-Punkte-Plan. Besser essen werden wir deswegen künftig nicht, sagt Lebensmittelchemiker Udo Pollmer.

Herr Pollmer, Dioxin ist…

… ein außerordentlich gefährlicher Stoff, der überall und damit auch in vielen Lebensmitteln vorkommt. Und er eignet sich wunderbar dazu, Panik zu verbreiten. Wer weiß schon, dass ein Pikogramm ein Millionstel von einem millionstel Gramm ist und dass wir uns bei den Eiern gerade um die Hälfte dieser Menge aufregen? Wer weiß, dass diese Gehalte ganz normal in unserer Umwelt sind und sich die letzten zwanzig Jahren deutlich verringert haben?

Also mal wieder viel Aufregung um nichts?

Es ist mal wieder ein schöner Beweis dafür, wie Medien und Politiker die Bürger verrückt machen können, indem sie einen sogenannten Lebensmittelskandal lostreten. Und dann wird den Konsumenten auch noch geraten, Bioeier zu kaufen. Dabei ist in tierischen Produkten aus dem Freiland von Natur aus schon mehr Dioxin drin als bei Stallware. Wobei auch hier immer noch gilt: Die Menge ist gesundheitlich völlig belanglos.

Trotzdem hat Verbraucherministerin Aigner jetzt einen Zehn-Punkte-Plan für mehr Sicherheit bei Lebensmitteln aufgestellt.

Klar, die Tage eines Politikers sind gezählt, wenn er nicht tut, wie ihm geheißen.

Sie halten nichts von beispielsweise mehr Kontrollen in den Betrieben?

Wenn der Deutsche Angst hat, fordert er Verbote, Kontrollen und Strafen. Aber dazu müssen die Lebensmittelkontrollen erst mal was taugen. In Nordrhein-Westfalen werden sie von Waldarbeitern durchgeführt. Mehr Holzfäller in die Feinkostfabrik? Bitte, gern! Nehmen wir eine Molkerei. Da sehen Sie nur Rohrleitungen, Chromstahl und Tanks. Wie die Anlage per Computer gesteuert ist, wie die Milch per Membrantrennung in zahllose Einzelbestandteile zerlegt und anschließend wieder zusammengesetzt wird, weiß selbst der Veterinär nicht, der ratlos davorsteht. Der kennt sich halt mit Kühen aus. Also müssen die Mitarbeiter dem Kontrolleur erklären, was in den Rohren los ist. Das kann er dann glauben oder nicht. Aber nennen Sie mir doch einen Punkt aus dem Programm, der Ihnen gefällt.

Mehr Transparenz für Verbraucher klingt nicht schlecht…

… wirkt aber schon fast surreal. Wenn die Fachleute überfordert sind, dann bieten wir eben dem Verbraucher jene Transparenz, jenen Durchblick, der auch der Ministerin fehlt. Anhand einer Zutatenliste kann aber nicht mal ein Lebensmittelchemiker verstehen, was da wirklich drin ist. Lebensmittel werden mit chemisch, biochemisch und physikalisch komplizierten Verfahren hergestellt. Da spielen Nanotechnologie oder Plasmaphysik eine wachsende Rolle, und dafür sind Kenntnisse der Quantenphysik nötig. Das ist High Tech! Und weil das kein normaler Verbraucher mehr nachvollziehen kann, erzählen wir ihm auf der Verpackung was von “natürlichen Zutaten” und zeigen in der Werbung Mönche, die im Klosterkeller Käse streicheln. Der wird dann im Eselskarren in die Regale der Discounter geschafft – zum Supersparpreis natürlich.

Wir sollen also einfach weiter essen, was uns schmeckt? Oder gibt es doch etwas, was sich an der Ernährung umstellen lässt?

Sie können gern die Marmelade im Kühlschrank von links nach rechts umstellen. Aber bitte das Putzen nicht vergessen. Der unhygienischste Ort in deutschen Haushalten ist meist der Kühlschrank, der sauberste das Klo. Verkehrte Welt!

Was in den Supermarktregalen steht, ist also alles sicher – trotz der ganzen Schreckensmeldungen von Acrylamid über BSE bis hin zu Dioxin?

Sicher ist im Leben nix. Aber die Lebensmittel sind die letzten zwanzig Jahre insgesamt sicherer geworden – wobei man das schon differenziert betrachten muss.

Inwiefern?

Die hygienischen Risiken, selbst in Restaurants, sind klar gesunken. Die Gehalte an Schadstoffen nehmen insgesamt ab, so auch beim Dioxin. Gleichzeitig tauchen neue Rückstandsprobleme auf, wie die Mikrozystine, die noch kaum jemand kennt. Das ist ein starkes Lebergift, das in Algenpräparaten zur Nahrungsergänzung vorkommt. Problematischer ist allerdings die Qualität von Lebensmitteln.

Sie meinen den Geschmack?

Den kann man ja mit Aromen oder technischen Kunstgriffen vortäuschen. Und genau das ist das Problem: Wo immer möglich, werden Kalorien, Fette und Zucker aus den Produkten entfernt, weil man so bei den Rohstoffen sparen kann und der Kundschaft erzählt, das sei “gesünder”. Das Ergebnis sind Käse-Imitate und Formfleischschinken, voll von schnittfestem Wasser und löffelfähiger Luft. Den wenigsten ist klar, dass Essen nicht gesund oder schön machen soll, sondern vor allem satt. Da der Körper das aber weiß, korrigiert er derartige Sparprogramme mit gesteigertem Hunger. Am Schluss muss der Kunde schlicht die doppelte Menge kaufen. Das rechnet sich. Und der Kunde hat den ganzen Tag nur Kalorien gespart. Das lässt er sich was kosten.

Dabei heißt es doch immer, wir sind so knausrig geworden, wenn’s um Lebensmittel geht.

Das Geld, das beim Essen gespart wird, geben wir heute für Nahrungsergänzungsmittel aus. Daran sieht man, dass der Kunde dem Braten nicht mehr traut. Dieses Mistbeet ist auch der fruchtbare Boden, auf dem ein Dioxinskandal gedeiht.

Können wir aus dem Dioxinfall trotzdem etwas lernen?

Oh ja. Wenn wir mal genauer schauen, wo das Zeug herkam. Nämlich aus den Biodieselanlagen. Bloß will das keiner hören, weil Biodiesel die Welt rettet. Also versuchen wir lieber, das Dioxin später wieder aus den Lebensmitteln herauszubekommen, statt die Ursache zu beseitigen. Das wäre mit einfachen technischen Mitteln möglich gewesen, war aber politisch nicht gewollt.

www.haller-ag.de